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Wie Ajatollah Chamenei Facebook für US-Hetze nutzt

Senior Editor
Ali Chameneis Facebook-Profil – Fotos und Hetze in klassischem Design Ali Chameneis Facebook-Profil – Fotos und Hetze in klassischem Design
Ali Chameneis Facebook-Profil – Fotos und Hetze in klassischem Design
Quelle: kein credit
Aktivisten in den USA fordern Facebook-Chef Mark Zuckerberg auf, die Hetz-Seite des iranischen Revolutionsführers Chamenei zu sperren. Die besondere Ironie: Seinen Bürgern verbietet er das Netzwerk.

Wenn ein Diktator Angst vor einem Medium hat, dann merkt man das daran, dass er es verbietet. Doch wenn er gewaltige Angst hat, dann merkt man das daran, dass er zugleich versucht, es zu vereinnahmen. So macht es einer der dienstältesten Gewaltherrscher des Planeten: Ali Chamenei, seit knapp 24 Jahren Oberster Führer des Iran, betreibt eine außergewöhnlich professionell gepflegte Facebook-Seite. Dort finden sich Botschaften wie jene an die US-Regierung: „Ihr seid das Symbol des Bösen! Ihr seid es, die Kriege in aller Welt führt“, oder ganz allgemein: „Der Westen wird durch Gewalt, Krieg und Lüge zusammengehalten.“

Dazu gibt es jedes Mal ein Foto des Ajatollah und über allem prangt die Aufforderung: „Folgen Sie uns für regelmäßige Nachrichten“. An das eigene Volk kann diese Aufforderung kaum gerichtet sein. Denn im Iran ist der Zugang zu dem sozialen Netzwerk gesperrt, und wer dort das Falsche sagt, riskiert Haft, Folter, Tod.

Nun regt sich Protest gegen diese Absurdität, und er richtet sich direkt an Facebook-Chef Mark Zuckerberg. „Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, benutzt das iranische Regime dieses Konto, um seine Propaganda zu verbreiten, während es seine eigenen Bürger vom Zugang zu Facebook ausschließt“, heißt es in einem offenen Brief der Lobby-Gruppe United Against a Nuclear Iran (UANI), und die Absender verlangen, Facebook müsse „sofort handeln und das Facebook-Konto von Ajatollah Chamenei vor der iranischen Präsidentenwahl am 14. Juni 2013 abschalten.“

Der Aufruf, der der „Welt“ exklusiv vorab vorliegt, ist durchaus ernst zu nehmen. Zahlreiche Unternehmen haben die Lobbyisten um Washingtons früheren UN-Botschafter Mark Wallace schon bewegt, ihr Iran-Geschäft wegen der Atompolitik und der Menschenrechtsverletzung der Mullahs einzustellen, darunter Schwergewichte wie General Electric und KPMG.

Wie Facebook für junge Iraner zur Falle wurde

Der Bezug zur Präsidentenwahl ist nicht zufällig. Denn damals wurde Facebook für unzählige Aktivisten gegen die offenkundige Fälschung des Ergebnisses durch das Lager von Präsident Mahmud Ahmadinedschad zum Informations- und Koordinierungsinstrument – aber auch zur Falle.

Denn das Regime verfolgte Demonstrationsaufrufe und ihre Weiterverbreitung durch die iranischen Facebook-Nutzer genau, und verwendete die Informationen für deren Verfolgung. „Am Anfang war Facebook eine Schnittstelle zwischen dem Diskurs der Jugend und der realen Politik auf den Straßen“, sagt Gigi Alford, die beim amerikanischen Demokratie-Thinktank Freedom House das Internet im Iran erforscht.

„Aber genau diese reale Kraft des sozialen Netzwerkes hat dem Regime auch Angst gemacht. Deshalb hat es das Web 2.0 erfolgreich umfunktioniert und es zu einem Instrument konkreter Gewalt gemacht.“

Die weiträumigen Verhaftungen und Folterungen, die auf Internet-Indizien beruhten, habe Facebook als Organisationsforum der Opposition nahezu unbrauchbar gemacht. Zwar versuchten regimekritische Iranerinnen und Iraner weiterhin, über das Internet zu kommunizieren, „aber es ist ein Katz- und Mausspiel“, sagt Alford. „Das Internet ist keine Wunderwaffe zur Erringung der Demokratie.“

Darum ist es fraglich, ob auch im Zuge der kommenden Präsidentenwahl eine digital getriebene Revolte denkbar ist, wie 2009. Erste Anzeichen für Manipulationsversuche des Regimes gibt es bereits. So darf der ehemalige iranische Staatschef Akbar Haschemi Rafsandschani offenbar nicht antreten. Der für die Billigung der Kandidaten zuständige Wächterrat habe Rafsandschanis als Bewerber abgelehnt, berichtet die halbamtliche Nachrichtenagentur Mehr. Bisher ist die Ablehnung noch nicht offiziell. Viele Reformer hatten auf einen Wahlsieg des populären und als gemäßigt geltenden Ex-Präsidenten gehofft.

Verstößt der Ajatollah gegen die Nutzungsbedingungen?

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Und auch die Anzeichen für verstärkte Internet-Zensur häufen sich angeblich. Schon im Vorfeld der Wahl sei das Internet im Iran dramatisch verlangsamt und immer wieder abgeschaltet, heißt es im UANI-Brief an Zuckerberg. Der Zugang zu Umgehungsservern im Internet, sogenannten Proxies, sowie Mittel zur Verschlüsselung des Datenverkehrs würden derzeit gezielt lahmgelegt.

Die Organisation erinnert an die Opfer der iranischen brutalen iranischen Internetzensur: An den Mann, der wegen der Facebook-Einträge seines im Ausland lebenden Sohnes inhaftiert wurde, an die Bahai-Aktivistin Houshang Fanian, die wegen ihrer Äußerung in Zuckerbergs Netz ein weiteres Jahr im Gefängnis verbringen muss, an den Blogger Sattar Beheshti, der wegen seiner Regime-Kritik auf Facebook festgenommen wurde und in der Haft umkam – offenbar durch Folter.

Die Autoren des Briefes erinnern Zuckerberg an das Selbstverständnis seiner Plattform, wie er sie selbst in einem Interview formulierte: „Heute haben durch soziale Netzwerke und andere Internetanwendungen 500 Millionen Menschen eine Möglichkeit, ihre Meinung zu sagen und ihrer Stimme Gehör zu verschaffen.“ Im Iran sei das nicht der Fall, außer für die Regimevertreter, die Facebook unter seinen Nutzern dulde.

Die Lobbyisten bieten Zuckerberg auch einen Weg an, wie er das Konto schließen kann, ohne sich der Zensur verdächtige zu machen. Stellten die Äußerungen des Ajatollah denn nicht einen eindeutigen Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen dar? Dort heiße es immerhin, Nutzer dürften keine Inhalte posten, die „hasserfüllt oder drohend“ seien, oder „zur Gewalt aufrufen“. Sehr erfolgreich ist der Nutzer Ali C. ohnehin nicht. 43.276 Likes hatte die Seite am Dienstagabend. Nicht viel für einen Liebling der Massen.

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